Optimal@NRW: Vermeidbare Krankenhauseinweisungen reduzieren
Jährlich werden rund 20 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen zur ärztlichen Behandlung in ein Krankenhaus eingewiesen. Nicht immer ist dies notwendig – und könnte durch den Einsatz von Telemedizin vermieden werden.
Gerade in den Abendstunden und am Wochenende zeigt die Kurve der Krankenhauseinweisungen aus Pflegeeinrichtungen steil nach oben. Die Hausarztpraxen sind geschlossen und in den Pflegeeinrichtungen sind selbst keine Ärztinnen und Ärzte vor Ort. Wenn dann medizinische Hilfe notwendig ist, wird häufig der Rettungsdienst alarmiert und es geht ins Krankenhaus. Keine optimale Lösung, denn stationäre Behandlungen können bei den älteren Patientinnen und Patienten auch zu einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands führen. So haben zum Beispiel Demenzerkrankte durch den Umgebungswechsel ein erhöhtes Risiko, ein Delir – eine plötzlich einsetzende Verwirrtheit, die wiederum mit einer erhöhten Sterblichkeitsrate einhergeht – zu entwickeln. Aktuellen Studien zufolge wären ein Drittel dieser Krankenhauseinweisungen vermeidbar, wenn eine entsprechende intersektorale Versorgung vorhanden ist. Wie sich das erreichen lässt, wird im Projekt Optimal@NRW erprobt. Das Projekt wird bis 2024 mit rund 15 Millionen Euro durch den Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) gefördert.
Rund um die Uhr Beratung dank Telemedizin
In das Projekt wurden 24 Pflegeeinrichtungen in der Stadt und StädteRegion Aachen sowie im Kreis Düren und Heinsberg in ein Kooperationsnetzwerk eingebunden. Über eine rund um die Uhr verfügbare Telearztzentrale an der Uniklinik der RWTH Aachen können Pflegekräfte hier medizinischen Rat einholen, um einen sich verschlechternden Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen per Audio- und Videoübertragung zu besprechen und wichtige Vitaldaten in Echtzeit zu übermitteln. Dazu wurden alle an dem Kooperationsnetzwerk beteiligten Pflegeeinrichtungen mit speziellen telemedizinischen Visitenwagen ausgestattet, die über zwei Bildschirme, Raumkamera, Mikrofon, Vitaldatenmonitor und verschiedene Messgeräte verfügen. Zusätzlich wurde ein Frühwarnsystem eingerichtet, um mithilfe von klinischen Beobachtungen und Vitalparametern mögliche Gesundheitsverschlechterungen frühzeitig zu erkennen und die Telearztzentrale bei Bedarf automatisiert zu benachrichtigen. Ebenso haben behandelnde Hausärzte und Hausärztinnen die Möglichkeit, sich dem telemedizinischen Kooperationsnetzwerk anzuschließen und sich entsprechend technisch ausstatten zu lassen.
Hilfe aus der Ferne und vor Ort
„Mithilfe dieses telemedizinischen Netzwerks wollen wir die Versorgungslücke für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen schließen und eine ambulante Therapie in ihrer gewohnten Umgebung ermöglichen“, sagt Dr. Jörg C. Brokmann, Ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme an der Uniklinik der RWTH Aachen und Leiter des Projekts. „Über das Netzwerk können Pflegeeinrichtungen rund um die Uhr auf ärztliche Expertise zugreifen und medizinische Akutsituationen vor Ort abklären.“ Ein wesentlicher Teil dieses Konzepts sind die „Nicht-ärztlichen Praxisassistenzen mit Zusatzaufgaben“: Diese sogenannten NäPa(Z) sind das zentrale Bindeglied zwischen den Telemedizinern und den Pflegeeinrichtungen; sie sind ebenfalls an der Telearztzentrale der Uniklinik der RWTH Aachen angesiedelt. Während Ärztinnen und Ärzte im telemedizinischen Austausch mit dem Pflegepersonal und den Pflegebedürftigen stehen, werden NäPa(Z) bei Bedarf in die Pflegeheime geschickt und können ärztlich delegierbare Maßnahmen vor Ort übernehmen.
Von dem Projekt Optimal@NRW profitieren letztlich alle Beteiligten: die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime, das Pflegepersonal, niedergelassene und stationär tätige Ärztinnen und Ärzte sowie die Rettungsdienste. Denn das Versorgungskonzept trägt dazu bei, die medizinischen Ressourcen ortsunabhängig zu nutzen, die Arbeitsbedingungen für das Personal zu verbessern und die Qualität der Versorgung für Bewohnerinnen und Bewohner in den Pflegeheimen zu erhöhen.
Keine Angst vor Telemedizin
Seit Mai dieses Jahres wird die Maßnahme ausgewertet. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen überraschend wenig Berührungsängste hinsichtlich der telemedizinischen Betreuung haben. Der Visitenwagen ermöglicht einen direkten und vertrauensvollen Dialog auf Augenhöhe zwischen Telearzt und Teleärztin, Patientinnen und Patienten sowie dem Pflegepersonal. Zudem hat sich der Einsatz der Nicht-ärztlichen Praxisassistenzen vor Ort in den Einrichtungen als wesentlicher Beitrag zur ambulanten Behandlung der Patientinnen und Patienten erwiesen und wurde sowohl vom Pflegepersonal als auch von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Pflegeheime als Entlastung wahrgenommen.
Bei einem erfolgreichen Projektabschluss ließe sich die neue Versorgungsform auf andere Regionen ausweiten und somit langfristig eine bessere medizinischen Versorgung von älteren Menschen in Pflegeheimen erreichen, sind die Projektverantwortlichen überzeugt.
Stand: 22.08.2023