Zwanghafter Pornokonsum: Therapiebedarf bei Tabuthema

Zum Kick durch wenige Klicks – das Anschauen von Pornografie kann zum Zwang werden. Anders als bei anderen Süchten gibt es jedoch kaum wissenschaftlich etablierte Behandlungskonzepte. Das Projekt PornLoS testet neue Wege.

Pornografie ist heute über das Internet für jeden überall leicht verfügbar und wird entsprechend häufig angeschaut. Etwa 90 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen in Deutschland konsumieren zumindest gelegentlich Pornografie, schätzen Expertinnen und Experten. Wird der Konsum zum Lebensmittelpunkt und werden andere Bereiche wie Partnerschaft und Arbeitsalltag vernachlässigt, spricht man von einer Pornografie-Nutzungsstörung (PNS). Die Weltgesundheitsorganisation hat PNS inzwischen als Erkrankung anerkannt, die abhängig vom Leidensdruck behandelt werden sollte. In Deutschland sind etwa eine Million Menschen von einer PNS betroffen, doch gibt es bisher kaum wissenschaftlich etablierte Behandlungskonzepte. Auch müssen Betroffene oft lange nach Hilfe suchen, weil viele niedergelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten mit diesem nach wie vor schambehafteten und deshalb oft tabuisierten Störungsbild nicht vertraut sind und das Behandlungsangebot dementsprechend eingeschränkt ist.

Behandlungslücken schließen, Versorgung verbessern

Genau hier setzt das Projekt PornLoS („Pornografie-Nutzungsstörung – Leben ohne Suchtdruck“) an. Getestet werden neue Behandlungswege und mit der herkömmlichen psychotherapeutischen Behandlung verglichen. „Wir wollen die bestehende Behandlungslücke schließen und die psychotherapeutische Versorgung von Menschen, die an einer PNS leiden, verbessern“, sagt Dr. Rudolf Stark, Professor für Psychotherapie und Systemneurowissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er leitet das Projekt, das für dreieinhalb Jahre mit insgesamt rund 5,3 Millionen Euro durch den Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert wird. „In unserer psychotherapeutischen Ambulanz behandeln wir seit mehr als zehn Jahren Menschen, die Probleme haben, ihren Pornokonsum unter Kontrolle zu behalten“, erläutert Prof. Stark. „Deshalb haben wir uns entschieden, ein neues, an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasstes Therapieprogramm zu entwickeln und wissenschaftlich zu überprüfen.“

„Mit unserem Projekt PornLos wollen wir die bestehende Behandlungslücke für Betroffene mit einer Pornografie-Nutzungsstörung schließen.“

Projektleiter Prof. Dr. Rudolf Stark


© Rolf K. Wegst

PornLoS-Studie erprobt innovative Therapieansätze

Im Rahmen des Projekts wurden für eine multizentrische Studie mehr als 100 Therapeutinnen und Therapeuten in der neuen Versorgungsform geschult. An acht Studienorten in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland wurden über 320 Betroffene in die Studie eingeschlossen. Ziel der Ende 2023 gestarteten Studie ist es, den Effekt von zwei neuen Therapieansätzen zu untersuchen: einen Behandlungsweg, der auf einen vollkommenen Verzicht des Konsums von pornografischen Inhalten abzielt, sowie einen zweiten Behandlungsweg, der eine reduzierte Nutzung verfolgt. Diese Intensivtherapien fanden beide in einer Kombination aus Einzeltherapiesitzungen und einer Gruppentherapie statt. Zudem erhielten die Studienteilnehmenden begleitende Unterstützung über eine im Projekt entwickelte App, die Betroffenen helfen soll, Rückfälle in ihrem Suchtverhalten zu vermeiden.

Die Wirksamkeit der neuen Versorgungsform soll im Vergleich zu einer herkömmlichen psychotherapeutischen Behandlung und einer Kontrollgruppe, die erst im Anschluss an die anderen Gruppen eine Therapie erhält, untersucht werden. Die Projektbeteiligten wollen den therapeutischen Teil der neuen Therapien noch in diesem Jahr abschließen. Wie wirksam die neuen Therapieansätze sind, wird dann in Nachuntersuchungen direkt im Anschluss an die Therapie sowie sechs Monate nach Behandlungsende ermittelt.

Vom Vorurteil zur Offenheit

Eine erste Erfahrung während der Studienlaufzeit: Hatten die beteiligten Therapeutinnen und Therapeuten zunächst noch Vorurteile gegenüber Patientinnen und Patienten mit PNS, veränderte sich dies während des Projekts: Die Bereitschaft, Patientinnen und Patienten zu übernehmen, stieg deutlich an. „Der von uns eingerichtete Betroffenenbeirat hat das Projekt durch seine Diskussionsbeiträge maßgeblich mitgeprägt und bot vielen Projektbeteiligten die einmalige Gelegenheit, aus erster Hand Einblicke in die Problematik zu gewinnen“, berichtet Prof. Stark.

Wenn sich das Therapiekonzept bewährt, soll die neue Versorgungsform deutschlandweit etabliert werden. Im Erfolgsfall ließe es sich auch auf andere Nutzungsstörungen, wie beispielsweise Computer-Spielsucht, übertragen. Das Therapieprogramm zu PornLoS soll noch in diesem Jahr als Orientierungshilfe für Therapeutinnen und Therapeuten veröffentlicht werden. „So können wir eine große Wissenslücke schließen“, ist Prof. Stark überzeugt: „Für die Betroffenen wäre das ein wichtiger Schritt: Sie können dank unserer Studie darauf hoffen, künftig adäquater behandelt zu werden.“

Stand: 17.12.2025