RTW-PIA: Für eine gesunde Rückkehr in den Arbeitsalltag
Immer mehr Menschen sind von psychischen Erkrankungen betroffen: Diese sind eine der häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit, führen im Durchschnitt zu den längsten Arbeitsunfähigkeitszeiten und verursachen 42 Prozent aller früheren Renteneintritte. Das macht psychische Erkrankungen nicht nur zu einer Belastung für die Betroffenen und ihre Familien, sondern auch zu einer gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Herausforderung. Um bei einer dauerhaften Rückkehr an den Arbeitsplatz zu unterstützen, untersuchten Forschende im Projekt RTW-PIA (Return to Work – Intensivierte Nachsorge in psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA)), wie sich die Übergänge zwischen medizinischer Behandlung und Wiedereinstieg verbessern lassen. Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fördert das Projekt mit 4,3 Millionen Euro.
„Bislang hat sich die Forschung vor allem auf den Zeitraum bis zur Rückkehr in den Beruf konzentriert und weniger auf die Zeit danach – in unserer Arbeit haben wir geeignete Schnittstellen zwischen Behandlung und betrieblichen Akteuren gesucht“, beschreibt Prof. Dr. Gregor Szycik, Projektleiter bei RTW-PIA und leitender Psychotherapeut der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Durch ein multiprofessionelles Behandlungsteam erhalten Studienteilnehmende bei einer Rückkehr in den Betrieb eine intensivierte Begleitung und Nachsorge. Dabei verknüpft das webbasierte Nachsorgekonzept medizinisch-therapeutische mit betrieblichen Maßnahmen und stärkt den Dialog zwischen Betroffenen und den betrieblichen Schlüsselakteuren. Die intensive Vorbereitung und Begleitung der (stufenweisen) Wiedereingliederung erlaubt es, mögliche Konfliktfelder am Arbeitsplatz frühzeitig zu identifizieren und im Vorfeld der Wiedereingliederung nach Lösungen zu suchen. In das Konzept eingebunden waren Fachleute aus der Psychiatrie, Ergotherapie und Sozialarbeit, aber auch Verantwortliche aus den Betrieben der Job-Rückkehrer.
Online-Nachsorge unterstützt Wiedereingliederung
„Unser Konzept besteht aus vier aufeinander aufbauenden Modulen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der klinischen Behandlung und der Rückkehr in den Betrieb durch die Psychiatrie-Ambulanzen der jeweiligen Kliniken initiiert, organisiert und umgesetzt werden“, erklärt Prof. Szycik. Die knapp 500 Studienteilnehmenden im Alter von 18 bis 60 Jahren wurden auf eine Interventions- und eine Kontrollgruppe aufgeteilt, die nach der geltenden Regelversorgung bei psychischen Erkrankungen regelmäßig therapeutische Gespräche in der psychotherapeutischen Ambulanz erhalten haben. Diese Gespräche sind bedarfsorientiert und nicht spezifisch am Thema Rückkehr zur Arbeit ausgerichtet, sondern fokussieren auf die Behandlung der psychischen Erkrankung. In der Interventionsgruppe wurden überdies bis zu acht Einzelgespräche angeboten, in denen aktuelle Probleme am oder mit dem Arbeitsplatz und betriebliche Gespräche zur Wiedereingliederung thematisiert wurden. In bis zu neun Gruppensitzungen konnten sich Betroffene in der Interventionsgruppe über ihre Erfahrungen austauschen. Darüber hinaus konnten sie bis zu zwölf Monate an einer webbasierten Nachsorge mit Hilfe einer digitalen Gesundheitsanwendung teilnehmen, in der es vor allem darum ging, die Selbstfürsorge und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken und neu erlernte Strategien im Umgang mit Stress und Arbeitsbelastung kontinuierlich zu üben und in den Alltag zu integrieren.
„Durch die Förderung des Innovationsausschusses wird uns die Möglichkeit eröffnet, ein solch komplexes Projekt, wie RTW-PIA, unter Beteiligung mehrerer Kooperationspartner durchzuführen.“
Projektleiter Professor Dr. Gregor Szycik
![]()
© Prof. Dr. Szycik
Erste Bilanz: positive mentale Effekte
Inzwischen wurde die Maßnahme an fünf Versorgungskliniken erprobt: in Hannover, Berlin-Weißensee, Hamburg-Harburg, Rinteln und Bad Berleburg. An der Evaluation der Studie beteiligten sich die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und die Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Derzeit befindet sich die Studie in der abschließenden Auswertung. Die Abschlussberichte werden nach Abschluss der Auswertungen erstellt und dem Förderer vorgelegt.
Erste Analysen legen nahe, dass die Intervention im Vergleich zur Regelversorgung durchaus positive Effekte auf die mentale Funktionalität, wie Bewältigung oder Kommunikation, hat, was hilft, wieder arbeitsfähig zu werden. Zudem gibt es Hinweise, dass bestimmte Personengruppen eher von der Intervention profitieren können – dies sind z. B. Betroffene ohne eine anerkannte Schwerbehinderung und mit geringer Unterstützung am Arbeitsplatz.
Potenzial für die künftige Versorgung
Für die künftige Versorgungspraxis sieht Prof. Szycik Potenzial: „Die klinischen Standorte des Projekts haben bereits jetzt Teile der erarbeiteten Intervention als besondere Behandlungsangebote in den Versorgungsstrukturen installiert und erleben eine große Nachfrage seitens der Patientinnen und Patienten.“ Angedacht ist zum Beispiel, niedergelassenen Hausärztinnen und -ärzten, Fachärztinnen und -ärzten sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten ein detailliertes Manual zur Begleitung der betrieblichen Wiedereingliederung zur Verfügung zu stellen.
Stand: 17.12.2025