Die Impfmotivation durch Kommunikation stärken
Viele ältere Menschen könnten sich besser gegen Infektionskrankheiten wappnen, wenn sie die empfohlenen Schutzimpfungen nutzen würden. Das Projekt ALIVE möchte die Impfmotivation von Menschen ab 60 Jahren stärken und Impflücken schließen.
Mit steigendem Lebensalter wird das Immunsystem immer schwächer – die Abwehrkräfte sinken. Damit steigt das Risiko für Infektionskrankheiten mit schweren Verläufen oder sogar lebensbedrohlichen Komplikationen. Dennoch sind viele ältere Menschen in Deutschland nur unzureichend durch Impfungen geschützt: Obwohl zum Beispiel eine jährliche Grippe-Impfung für diese Altersgruppe empfohlen wird, lag die Impfquote bei Menschen ab 60 Jahren im Jahr 2022 laut Robert Koch-Institut mit rund 43 Prozent weit unter der von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Quote von 75 Prozent.
Das Projekt ALIVE („ALtersspezifische Impfinanspruchnahme Verbessern“) entwickelt und erprobt daher ein Bündel von Interventionsmaßnahmen, um die Impfquoten zu erhöhen und damit den Schutz von älteren Menschen speziell vor Influenza (Grippe) und Pneumokokken (Bakterien, die vor allem Lungenentzündungen verursachen) zu stärken. Dazu wird das Projekt für 45 Monate mit rund 5,6 Millionen Euro durch den Innovationsauschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert.
Individuelle Impfhürden adressieren
„Obwohl die Bedeutung von Schutzimpfungen bekannt und belegt ist, zeigt die Praxis, dass Impfen kein Selbstläufer ist“, erläutert Dr. Julia Iwen vom Verband der Ersatzkassen, die Projektleiterin von ALIVE. „Dass die Impfquoten im europäischen und internationalen Vergleich nur mittelmäßig sind, hat vielfältige Ursachen. Es sind effektive Maßnahmen gefragt, um etwaige individuelle Impfhürden festzustellen und die Impfmotivation zu verbessern.“ Insbesondere könne eine zielgerichtete Kommunikation helfen, die Aufklärung und Beratung zu empfohlenen Impfungen zu verbessern sowie das Vertrauen in Impfungen und das Wissen der Betroffenen zu stärken.
Um die Hypothese zu überprüfen, dass eine bessere Kommunikation die Impfmotivation und -quoten verbessern kann, entwickelten die Projektbeteiligten eine aus mehreren Instrumenten bestehende Intervention und testeten diese von Juli 2022 bis Ende März 2024 in Hausarztpraxen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. „Konkret heißt das: Wir haben Online-Fortbildungen zum Umgang mit Impfmüdigkeit, zu geeigneten Kommunikationsstrategien sowie zur Risikokommunikation erarbeitet, die jeweils von einem Arzt bzw. einer Ärztin und mindestens einer bzw. einem zugehörigen Medizinischen Fachangestellten erfolgreich absolviert werden mussten“, sagt Julia Iwen. Zudem erhielt jede Praxis Checklisten zur Implementierung und Umsetzung eines Impfmanagements, Unterstützung bei der Etablierung eines Impf-Erinnerungssystems in Bezug auf die jährliche Grippe-Impfung sowie Praxismaterialien für Patientinnen und Patienten. Erreicht werden sollen Versicherte, die eigenständig in die Hausarztpraxis kommen, aber auch Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen und Pflegebedürftige zu Hause.
Begleitstudie soll erste Ergebnisse bis 2025 vorlegen
Unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begleiten das Projekt und überprüfen in einer Studie, ob dessen Ziele erreicht werden konnten. Die neue Versorgungsform wurde bei insgesamt 676 Ärztinnen und Ärzten eingeführt (Interventionsgruppe). Derzeit wird untersucht, ob das Maßnahmenpaket in den Interventionspraxen zu einer Erhöhung der Impfraten bei den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Schutzimpfungen (Influenza, Pneumokokken, Gürtelrose/Herpes Zoster, Tetanus und Diphtherie) beitragen konnte und wie die Umsetzbarkeit und der Nutzen der einzelnen Maßnahmen in den Praxen bewertet werden. Ermittelt wird auch, ob die angesprochenen Patientinnen und Patienten dank der Maßnahme kompetenter mit den Themen Impfung und Gesundheitsschutz umgehen. Dazu analysieren die Forschenden Abrechnungsdaten der teilnehmenden Praxen und befragen Ärztinnen und Ärzte, Medizinische Fachangestellte sowie Patientinnen und Patienten. Erste Ergebnisse der Studie werden für das Jahr 2025 erwartet.
Perspektivisch mehr Impfschutz für alle
Das Projekt rückt mit seinen Maßnahmen die Gruppe der Menschen ab 60 in den Fokus. Der in ALIVE erprobte Ansatz hat nach Meinung der Projektverantwortlichen aber das Potenzial – bei positiver Evaluation – bundesweit und auch auf andere Impfungen, Indikationen und Zielgruppen übertragbar zu sein. Insbesondere die kommunikationspsychologischen Techniken für Gespräche rund um das Impfen und zum Umgang mit Impfskepsis, Ängsten und Vorbehalten sowie die Optimierung von organisatorischen Praxisprozessen unterstützen ein zielgerichtetes und nachhaltiges Impfmanagement, unabhängig davon, ob es um Impfungen bei Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen oder älteren Menschen geht.
Stand: 28.06.2024