Bessere Versorgung: Eine Herzensangelegenheit für INCREASE
In Deutschland werden jedes Jahr mehr als 30.000 Herzklappen-Operationen durchgeführt – in den meisten Fällen wegen Verschleißerscheinungen. Da die Bevölkerung tendenziell älter wird, werden auch Herzklappenerkrankungen zunehmen und damit auch die Zahl minimal-invasiver Eingriffe. Eine Weiterentwicklung der Versorgung ist deshalb wichtig.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsprojekt INCREASE knüpfen daran an und möchten das Versorgungsmanagement vor, während und nach der Operation (perioperativ) durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Disziplinen (darunter u. a. Chirurgie, Kardiologie, Pflege, Physiotherapie und Psychosomatik) verbessern. „Wir werden genau untersuchen, wie diese interdisziplinäre Zusammenarbeit von Patientinnen und Patienten wahrgenommen wird, ob sich Krankenhausaufenthalte dadurch verkürzen lassen, ob Betroffene schneller wieder mobil werden und damit eine höhere Lebensqualität haben“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Evaldas Girdauskas vom Universitätsklinikum Augsburg. Dort und am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wird das INCREASE-Konzept in einer Studie wissenschaftlich überprüft. Das Projekt selbst wird seit 2020 für vier Jahre mit rund 5,2 Millionen Euro durch den Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert.
Perspektive und frühe Einbindung der Betroffenen im Mittelpunkt
Bislang bleiben Betroffene für einen Herzklappeneingriff durchschnittlich zehn bis zwölf Tage im Krankenhaus, bevor eine Rehabilitationsmaßnahme startet. Dadurch werden sie erst spät wieder vollständig mobil. Zudem führt die lange Liegezeit im Krankenhaus oft zu körperlicher Schwäche und Schmerzen. Bislang haben die Betroffenen wenig Möglichkeiten, diesen Versorgungsprozess aktiv mitzugestalten; das aber soll sich durch INCREASE ändern.
Das INCREASE-Konzept sieht vor, dass Patientinnen und Patienten gemeinsam mit ihren Angehörigen bereits drei Wochen vor dem Eingriff ein aufklärendes Gespräch mit dem gesamten medizinischen Team (Herzchirurginnen und -chirurgen, Pflegekräfte, Fachkräfte aus den Bereichen Physiotherapie, Psychosomatik sowie Reha-Management) führen. Ebenfalls vor der Operation werden eine bestimmte Ernährung und physiotherapeutische Übungen zur vorbeugenden Aktivierung verordnet. Eine feste Ansprechperson begleitet Betroffene über die gesamte Versorgungsphase hinweg.
Nach dem Herzklappeneingriff werden die Patientinnen und Patienten noch im Operationssaal geweckt und anschließend auf die Überwachungsstation anstatt auf die Intensivstation gebracht. Bereits drei Stunden nach der Operation soll die erste physiotherapeutische Behandlung erfolgen. Diese engmaschige interdisziplinäre Betreuung durch Physiotherapie, Schmerzdienst und aktivierender Pflege soll die frühzeitige Mobilisierung der Betroffenen nach dem Eingriff ermöglichen und sie aktiv in den Heilungsprozess einbinden. Sobald wie möglich sollen die Patientinnen und Patienten in eine Rehabilitationsklinik überwiesen werden, die den interdisziplinären Heilungsprozess fortsetzt.
Studie untersucht Erfolg der interdisziplinären Behandlungsform
Das INCREASE-Projektteam wird sein Konzept anhand einer Studie überprüfen. Dazu sollen voraussichtlich noch bis zum 1. Quartal 2023 fast 200 Patientinnen und Patienten aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern rekrutiert werden. Eingeteilt in zwei Gruppen erhalten die Teilnehmenden eine Behandlung nach dem INCREASE-Konzept (Interventionsgruppe) oder werden gemäß der Standardversorgung behandelt (Kontrollgruppe). Das Projektteam vergleicht zunächst die Länge des jeweiligen Krankenhausaufenthalts und die Behandlungskosten. Mit einem Geh-Test und standardisierten Fragebögen wird zudem erfasst, ob die Teilnehmenden der Interventionsgruppe bei der Krankenhausentlassung einen besseren körperlichen Zustand im Vergleich zur Kontrollgruppe aufweisen und ob einige Monate nach dem Eingriff eine erhöhte Lebensqualität belegbar ist.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollen an alle Behandlungsbeteiligten zurückgespiegelt werden und in einen Leitfaden einfließen. Die Rekrutierung der Studienteilnehmenden an den Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf und Augsburg startete im Juli 2021; inzwischen liegen bereits erste positive Einschätzungen von Patientinnen und Patienten und Klinikmitarbeitenden vor.
INCREASE könnte als Vorbild dienen – auch für andere Bereiche der Herzchirurgie
Der bei INCREASE entwickelte Versorgungsstandard soll sich sowohl auf städtische als auch ländliche Regionen übertragen lassen und könnte nach positiver Auswertung der Studie in allen Herzzentren in Deutschland Anwendung finden. Dafür arbeiten die Studienstandorte Hamburg und Augsburg mit der BARMER Krankenkasse, mehreren Kliniken sowie Gesundheits- und Rehabilitationszentren zusammen. „Wir wollen in absehbarer Zeit die wissenschaftlich begründeten Daten zu einem modernen perioperativen Versorgungsmodell der Herzmedizin erbringen. Die bei INCREASE gewonnenen Erkenntnisse können neue Maßstäbe setzen und die Regelversorgung für Herzklappeneingriffe verändern“, ist sich Projektleiter Girdauskas sicher.
Stand: 26.09.2022