Eine Leitlinie zum Schutz vor Tuberkulose

Fluchtumstände erhöhen die Gefahr, dass Migrantinnen und Migranten Tuberkulose (TB) bekommen und aus einer latenten eine aktive Tuberkulose wird. Eine im Projekt TB-Risk entwickelte Leitlinie soll helfen, das Risiko zu senken.

Tuberkulose ist in Deutschland selten geworden und betrifft heute – überwiegend aber nicht ausschließlich – Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden. Laut dem Robert Koch-Institut zählt Tuberkulose weltweit aber immer noch zu den häufigsten Infektionskrankheiten: Schätzungsweise ist jeder vierte Mensch mit Tuberkulose infiziert, allerdings entwickelt nur etwa jeder Zehnte nach einer Infektion auch eine Erkrankung. Durch ein höheres Infektionsrisiko im Herkunftsland und während der Flucht sowie mit diesen einhergehenden Stressfaktoren und Schwächung des Immunsystems erkranken insbesondere Migrantinnen und Migranten aus Hochinzidenzländern nach ihrer Ankunft in Deutschland an Tuberkulose. Für Niedriginzidenzländer wie Deutschland empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation deshalb gezielte Screening-Programme, um eine mögliche Verbreitung der Krankheit zu verhindern. Bis dato fehlt jedoch eine einheitliche Strategie, wann und bei wem ein Screening durchgeführt werden soll. Um diese Lücke zu schließen, hat das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) gemeinsam mit der Abteilung Epidemiologie des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) die Entwicklung einer S3-Leitlinie angestoßen. Das Projekt wird für 35 Monate mit ca. 113.000 Euro durch den Innovationsauschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert.

Warum ein Screening für Migrantinnen und Migranten?

„Derzeit werden nur Menschen, die in Gemeinschaftseinrichtungen leben, nach dem Infektionsschutzgesetz auf Lungentuberkulose untersucht“, erklärt Dr. Brit Häcker vom DZK, die Projektkoordinatorin von TB-Risk. „Wir müssen überdenken, wie und bei wem wir auf Tuberkulose screenen, um einen Ausbruch der Erkrankung und mögliche Verbreitung frühzeitig zu verhindern.“ Ein systematisches Screening und eine anschließende vorbeugende Therapie mit einer geeigneten Medikamentenkombination könnte nicht nur die individuelle Gesundheit schützen, so Dr. Häcker weiter, sondern auch helfen, weitere Ansteckungen in der Bevölkerung zu reduzieren. Unklarheiten bestehen jedoch darüber, welche Gruppe von Migrantinnen und Migranten von einem Screening am meisten profitieren würden und wie dieses effektiv und kosteneffizient in Deutschland umgesetzt werden kann.

Herausforderungen bei der Leitlinienentwicklung

Die Erarbeitung der Leitlinie erfolgt nach strengen methodischen Vorgaben und nach Kriterien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) und ist ein komplexer Prozess. Zunächst wurden Schlüsselfragen definiert, um internationale Studien systematisch auswerten zu können: Welche Bevölkerungsgruppen sind relevant? Welche Maßnahmen werden ergriffen? Wie wirken diese im Vergleich, und welche Behandlungsergebnisse werden mit ihnen erzielt? Fachgesellschaften, medizinische Organisationen und Vertreterinnen und Vertreter von Migrantengruppen wurden in den Prozess eingebunden. Derzeit arbeitet das Team des HZI an der Auswertung der wissenschaftlichen Literatur, um klare Empfehlungen aussprechen zu können. Dabei muss u. a. berücksichtigt werden, dass Studienergebnisse aus anderen Ländern nicht ohne Weiteres auf den deutschen Kontext übertragen werden können.

Erschwerend kommt beim Erstellen der Leitlinie hinzu, dass es in Ländern, in denen Tuberkulose selten vorkommt, kaum hochwertige Studien zu Tuberkulose-Screening-Programmen gibt. Viele der vorhandenen Studien basieren auf Beobachtungen und liefern nur begrenzte Informationen, die auf die deutsche Situation lediglich bedingt übertragbar sind. Außerdem gibt es bislang nur wenige Ergebniszusammenfassungen aller Studien, sogenannte systematische Reviews, die sich speziell mit der Tuberkulose-Prävention bei Migrantinnen und Migranten beschäftigen. Diese methodischen Hürden machen die Evidenzbewertung besonders anspruchsvoll und zeitintensiv. Dennoch wollen die Projektverantwortlichen und beteiligten Expertengruppen eine S3-Leitlinie und damit eine Empfehlung mit der höchsten Qualitätsstufe im Jahr 2025 vorlegen.

Die Rolle der neuen Leitlinie

Ziel ist es, eine praxisnahe Empfehlung zu entwickeln, die sowohl medizinisch als auch aus Sicht des Infektionsschutzes sinnvoll ist. „Die Leitlinie soll nicht nur medizinisches Personal unterstützen, sondern auch Entscheidungsträgern im öffentlichen Gesundheitswesen dabei helfen, angemessene präventive Maßnahmen zu planen und umzusetzen“, erläutert Dr. Brit Häcker. Pilotprojekte sollen folgen, um die Wirksamkeit der Leitlinienempfehlungen zu evaluieren und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Mit dieser wissenschaftsbasierten Vorgehensweise hofft das Projektteam, das Bewusstsein für die Tuberkuloseprävention in Deutschland zu stärken und einen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung sowie eine Reduktion von Tuberkulosefällen unter Migrantinnen und Migranten zu leisten.

S3-Leitlinie Tuberkuloseprävention bei Migrant*innen bei der AWMF

Stand: 11.12.2024