„OncoCoaches“: Mehr Lebensqualität für Krebskranke
Die Überlebensrate bei vielen Tumorerkrankungen steigt, Krebs wird immer mehr zu einer chronischen Krankheit. In der medizinischen Versorgung stellen sich damit ganz eigene Herausforderungen: Menschen, die die Diagnose einer nicht heilbaren Krebserkrankung erhalten haben, brauchen Zeit, Zuwendung, Unterstützung und Kontinuität – ein Bedarf, der im Praxisalltag oft nur schwer erfüllt werden kann. In oft komplexen Therapien haben Patientinnen und Patienten mehr Fragen zu therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen. Hier setzt die Arbeit speziell geschulter Fachkräfte ein, der sogenannten „OncoCoaches“. Sie sind das zentrale Element eines neuen Betreuungssystems, das im Projekt OnCoPaTh entwickelt wurde. Der Innovationsauschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss fördert dieses Projekt für 56 Monate mit rund 5,8 Millionen Euro.
Zentrales Element in neuem Betreuungssystem
In enger Abstimmung mit den behandelnden Fachärztinnen und -ärzten übernehmen die „OncoCoaches“ Pflegegespräche, schulen Patientinnen und Patienten im Umgang mit Medikamenten und möglichen Nebenwirkungen, klären über Notfallsituationen auf und koordinieren Betreuungsleistungen in einem fachübergreifenden Team. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet dies: Ihren ganz persönlichen Anliegen und Fragen wird mehr Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet, sie haben eine konstante Ansprechperson, die um ihren Bedarf an benötigter Unterstützung weiß und entsprechende Hilfsangebote in einem multidisziplinären Team organisiert.
Dazu gehört auch die frühe Einbindung von Pflegefachkräften aus der Palliatrie. „Palliativmedizin wird von vielen Menschen als Versorgung verstanden, die erst kurz vor dem Lebensende einsetzt“, erklärt Michaela Hach vom Konsortialpartner Fachverband SAPV Hessen e.V. „Tatsächlich aber kann eine früh einsetzende palliative Betreuung die Lebensqualität unheilbar kranker Menschen erheblich verbessern."
„Die bei OnCoPaTh entwickelte Form der Versorgung rückt ganz klar die Bedürfnisse von Betroffenen in den Fokus“, erläutert Dr. Manfred Welslau, wissenschaftlicher Leiter der Studie beim Konsortialführer Arbeitskreis klinische Studien e. V. „Die OncoCoaches stellen sicher, dass Diagnose, Therapie und Nebenwirkungen ausreichend verstanden werden und die Patientinnen und Patienten in ihrer Entscheidungskompetenz und Selbstbestimmung unterstützt werden“. Gut informierte Patientinnen und Patienten, so die Annahme der Forschenden im Projekt, erfahren mit dieser umfassenden Betreuung aber nicht nur ein Plus an Lebensqualität – sie nehmen in vermeintlichen Notfallsituationen seltener Rettungsdienste in Anspruch und verbringen weniger Zeit im Krankenhaus als weniger gut informierte Patientinnen und Patienten.
Studie soll Auskunft über Wirksamkeit geben
Wie wirksam die neue Versorgungsform ist, überprüften die Forschenden anhand von Routinedaten. Außerdem werden Patientinnen und Patienten befragt, ebenso alle an der deutschlandweiten Studie beteiligten Fachkräfte in den teilnehmenden Fachpraxen und Kliniken. Für eine Vergleichsstudie konnten 29 Fachpraxen und Kliniken gewonnen werden, in denen Mitarbeitende zunächst zu „OncoCoaches“ fortgebildet wurden. Mehr als 800 Patientinnen und Patienten aus den an der Studie teilnehmenden Versorgungseinrichtungen wurden in drei Gruppen eingeteilt: eine Interventionsgruppe sowie zwei Vergleichsgruppen.
Die erste Vergleichsgruppe (VG I) wurde von allen teilnehmenden Praxen und Kliniken rekrutiert und erhielt die derzeitige Regelversorgung. Zeitgleich zum Einschluss der Patientinnen und Patienten in die VG I nahmen die Mitarbeitenden der teilnehmenden Praxen und Kliniken an einer Fortbildung zum „OncoCoach“ teil. Danach wurden alle Einrichtungen in zwei Gruppen aufgeteilt. In Vergleichsgruppe II (VG II) setzten Praxen und Kliniken das in den „OncoCoach“-Schulungen erlangte Wissen eigenständig in der Patientenversorgung um, d. h. Patientinnen und Patienten erhielten eine erweiterte Regelversorgung. In der Interventionsgruppe unterstützte das Studienteam die Etablierung des „OncoCoachings“ durch Einführungsschulungen, Implementierungs-Workshops sowie eine individuelle Nachbetreuung. Zudem nutzten die „OncoCoaches“ der Interventionsgruppe eine Dokumentations-App, in der die Zusammenarbeit mit der Palliativpflegefachkraft und patientenrelevante Informationen dokumentiert werden. Über diese App konnten Ärztinnen und Ärzte, die „OncoCoaches“ und die Palliativpflegefachkräfte permanent auf alle relevanten Therapiedaten zugreifen und sich besser miteinander abstimmen.
Nachbeobachtungsphase läuft noch bis Ende März 2024
Aktuell befindet sich das Projekt noch in der Nachbeobachtungsphase, ab Ende März 2024 soll die Datenauswertung starten. So viel aber lässt sich schon jetzt sagen: Die neue Versorgungsform wird sowohl von Patientinnen und Patienten als auch von den Leistungserbringern sehr gut angenommen.
Dr. Dirk Mohr, Projektleiter beim Arbeitskreis klinische Studien e. V., beschreibt die langfristigen Ziele des Projekts: „Durch die Integration von OnCoPaTh in den Praxisalltag können die Patientinnen und Patienten besser mit ihrer Krankheit umgehen, werden Ärztinnen und Ärzte entlastet und den Mitarbeitenden eröffnen sich mit der Fortbildung zum OncoCoach neue Perspektiven. Ein weiteres Ziel ist die Entlastung des Gesundheitssystems durch geringere Kosten dank weniger Krankenhauseinweisungen – eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.“
Stand: 02.02.2024